Diesen Sonntag, dem 09.06., findet die EU-Wahl in Deutschland statt. Erstmals kann ab 16 Jahren gewählt werden. Aber wieso sollte man eigentlich wählen gehen? Welche Auswirkungen hat die Europäische Union eigentlich auf uns und unsere Stadt?
Im Interview: Tim Kähler
Tim Kähler: Bürgermeister der Hansestadt Herford, 56 Jahre alt, seit 10 Jahren Bürgermeister, 1. Vizepräsident der sozialdemokratischen Bürgermeister in Europa
Bedeutung der EU für Herford und Schüler:innen
Wie erklären Sie die Bedeutung der EU für Herford, insbesondere für Schüler:innen?
Auch in Herford gibt es viele Firmen, die exportieren. Dadurch entstehen Arbeitsplätze und Reichtum für die Bürger in Herford. Die Firmen sind abhängig davon, dass man Handel betreibt, und durch europäische Handelsschranken wird dieser Export unterstützt. Wenn es diese Unterstützungen und Exporte nicht geben würde, würde es weniger Gewinne für Herford und EU geben und dadurch auch weniger Reichtum und weniger Gehalt für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Herford. „Es gibt ja tausend Möglichkeiten das zu erklären”, sagt Kähler abschließend.
Welche konkreten Vorteile hat die EU-Mitgliedschaft für junge Menschen in Herford, z.B. im Bildungssystem oder bei Jugendprojekten?
Zum Beispiel, dass man ohne Grenzkontrolle frei reisen kann. Damals musste man an der Grenze zu Österreich zwei Stunden warten, bevor man einreisen konnte. Außerdem ermöglicht und vereinfacht Europa Schüleraustausche, Schülerförderprogramme, wie das Erasmus-Programm für Studierende. Dank diesem Programm können Studierende mit finanzieller Hilfe ein halbes Jahr im Ausland studieren. Zudem hilft die EU in Bereichen, wo es sozial noch nicht so ausgereift ist. Mit den Sozialfonds fördert Europa dort Infrastruktur und stattet Schulen aus.
Das Wichtigste laut Kähler ist der gesicherte Frieden. „Weil wenn es Krieg gibt, müssen die jungen Leute in den Krieg und die Alten reden.”, so Kähler.
EU-finanzierte Projekte in Herford
Können Sie uns Beispiele für EU-finanzierte Projekte in Herford nennen, die direkte Auswirkungen auf Schüler:innen haben? Manchmal ist es schwierig zu sehen, ob ein Projekt mit EU-Mitteln finanziert wurde. Zudem liegt Herford in einer Region, welcher es sehr gut geht. Deshalb gibt es für Herford keine direkten Förderungen. Denn die europäische Förderung (Sozialfonds) guckt immer, wo Länder noch nicht so weit entwickelt sind und fördert dort. Ostwestfalen ist dort sehr weit fortgeschritten. Doch direkte Förderung kann man beim Leader-Projekt sehen, welches gut für die ländlicheren Städte, wie zum Beispiel für Herford gut sind. Das Leader-Projekt wird von der EU mit 2,3 Millionen Euro gefördert. Die drei Städte Bad Salzuflen, Vlotho und Herford haben sich gemeinsam als Region „Verein(t) – regional.gesund.digital“ für die neue Förderperiode ab 2023 bis 2027 erfolgreich beworben. Es geht darum, die Außenbereiche, die ländlichen Bezirke der Städte mit guten Ideen zu stärken und zu fördern. Die Vorschläge können Bürger, Vereine oder Institutionen einreichen. Das kann zum Beispiel ein Gesundheitskiosk sein, ein Bürgerbus oder ein Pop-up Gemeindetreff – gefragt sind Ideen, die die Region voranbringen und verbessern.
Was ist das Projekt „Ultimo“ und wie wird es die Mobilität in Herford verbessern?
Das Projekt Ultimo erforscht, wie Busse mit normaler Geschwindigkeit alleine fahren. Die Schweiz und EU finanzieren das Projekt in drei Städten, Oslo, Zürich und Herford. „Passt ja in die Reihe.”, witzelt der Bürgermeister. Das Projekt läuft im Herbst 2024. Dann kommen (Prototyp-) Busse in die drei Städte. Man kann diese dann mit einer App anfordern, die einen dann von A nach B mit virtueller Haltestelle bringen. Die Busse sollen natürlich so günstig sein wie ein normaler Bus, damit es sich lohnt.
Bei dem Projekt „Ultimo“ beteiligt sich die Europäische Union mit 24,2 Millionen Euro. „Ein moderner ÖPNV muss preiswert, umweltbewusst und flexibel sein. Der Einsatz von autonomen Elektro-Kleinbussen, die das bestehende Angebot kostengünstig ergänzen, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ich fände es großartig, wenn Herford als eine der ersten Kommunen europaweit ein Teil dieser Zukunftsvision wird“, sagt der Bürgermeister.
Was ist die Wasserschutzrahmenrichtlinie?
Die Wasserschutzrahmenrichtlinie gibt an, wie sauber das Wasser sein soll. Ebenso sorgt die Richtlinie für Renaturalisierung. Das heißt, dass man die Werre, Aa oder andere Gewässer wieder zu dem zurückbauen möchte, wie sie früher waren. Zum Beispiel möchte Herford das Wehr zurückbauen, damit sich die Fische wieder normal im Gewässer bewegen können. Dieses Projekt wird zum Beispiel zu 90 % von europäischen Geldern gefördert, da die Wasserschutzrahmenrichtlinie noch kein festes Gesetz ist. Erst in 5 Jahren wird die Richtlinie zur Vorschrift.
Welche Maßnahmen werden ergriffen, um die Ziele der EU-WRRL für Gewässer wie die Werre und die Aa in Herford zu erreichen?
Herford möchte das Wehr wieder durchgängig machen, Buchten errichten, damit es Lebewesen, wie den Fischen wieder besser geht. Außerdem wird es bald Überflutungsflächen geben. Die Renaturalisierung möchte Herford weiter als Ziel für die Werre und Aa im Blick behalten.
Einfluss der EU-Wahlen auf junge Menschen
Warum ist die Beteiligung junger Menschen an den EU-Wahlen so wichtig?
Junge Menschen sind unsere Zukunft und Europa ist ein Projekt für die Zukunft.
Wie können die EU-Wahlen die Zukunftsaussichten junger Menschen in Herford beeinflussen?
Europas Ursprungsidee ist es, für Freiheit und Frieden zu sorgen. Zudem fördert sie den Austausch zwischen junge Menschen und die kreative Weiterentwicklung. Europa setzt sich aus Meinungen zusammen. Wenn zum Beispiel das Europäische Parlament aus Fraktionen zusammen kommt, die national werden wollen und die Rolle der Frau anders sehen, dann wirkt sich das unmittelbar auf die jungen Menschen aus. Oder wenn der Handel geschwächt wird. Das wirkt sich auf Arbeitsplätze und das Einkommen der Eltern aus. Letztendlich fällt das auch auf die jungen Menschen zurück. Deswegen ist es sehr wichtig, dass Kräfte da sind, welche Europa positiv denken, demokratisch denken und die Europa weiterentwickeln wollen.
Denn Kähler sagt im Interview: „Für China ist es nicht so relevant, wenn 80 Millionen Menschen in Deutschland eine Meinung haben. Aber 500 Millionen Europäer bei 1,4 Milliarden Chinesen: Dann wird man wahrgenommen.” Deshalb ist Europa so wichtig und, dass zusammengehalten wird, um in der Welt richtig mitspielen zu können.
Wie können Schüler:innen dazu beitragen, die lokale Politik im EU-Kontext besser mitzugestalten?
Kähler spricht sich für Schülerparlamente aus und, dass man diesen dann aber auch Geld zur Verfügung stellt und Entscheidungen gewährt. Man muss Zeit investieren, denn Politik wird von Menschen gemacht, die da sind und nicht auf dem Sofa.
Plant die Stadt Herford Aktionen, um junge Menschen zur Teilnahme an den EU-Wahlen zu ermutigen?
Der Bürgermeister sagt, die Stadt Herford plane an Schulen zu gehen und in Gespräche mit den Schüler:innen zu kommen. Zudem möchte er ihnen die Idee der EU näherbringen.
Welche Botschaft möchten Sie an junge Wähler:innen in Herford senden, um ihre Teilnahme an den EU-Wahlen zu motivieren?
Europa lebt davon, dass Leute mitmachen. Also geht wählen. Wählt die Parteien, die Europa positiv sehen. Es ist wichtig, dass Europa erhalten bleibt.
Tim Kähler betont im ganzen Interview immer wieder: „Geht in die demokratischen Parteien, arbeitet mit, seid frech, ärgert die Alten und macht ihnen Beine.”, „Jetzt ist die Zeit Europa kennenzulernen.“